
Texas Ratio: Der Frühwarnindikator für Bankeninsolvenzen
Verstehen Sie die Texas Ratio als kritischen Insolvenzindikator. Berechnung, Interpretation und praktische Anwendung für Risikoanalysten.
Sie kennen das Gefühl: Eine Bank sieht auf den ersten Blick solide aus, doch irgendetwas stimmt nicht. Die Bilanzsumme wächst, die Erträge sprudeln - aber die notleidenden Kredite häufen sich. Genau hier kommt die Texas Ratio ins Spiel, ein Frühwarnindikator, der schon unzählige Bankenpleiten vorhergesagt hat.
Als ich bei banktracker.de die ersten Analysetools entwickelte, war die Texas Ratio eine der ersten Kennzahlen, die wir implementierten. Warum? Weil sie funktioniert. Ungeschminkt und brutal ehrlich zeigt sie, ob eine Bank ihre Problemkredite noch schultern kann.
Die Geburt aus der Krise
Die Texas Ratio entstand nicht im Elfenbeinturm, sondern mitten im Chaos. In den 1980er Jahren brach der texanische Immobilienmarkt zusammen, Öl wurde billig, und Banken fielen wie Dominosteine. Gerard Cassidy von RBC Capital Markets suchte nach einem einfachen Weg, die nächsten Opfer zu identifizieren.
Seine geniale Beobachtung: Wenn die notleidenden Kredite einer Bank ihr Eigenkapital plus Risikovorsorge übersteigen, ist sie praktisch tot - sie weiß es nur noch nicht. Die Formel war geboren:
Texas Ratio = (Notleidende Kredite / (Eigenkapital + Risikovorsorge)) × 100%
Banken mit einer Ratio über 100% überlebten selten länger als zwei Jahre. In Texas kollabierten 9 der 10 größten Banken - alle hatten vorher die magische 100%-Marke gerissen.
So rechnen Sie richtig
Die Berechnung wirkt simpel, aber der Teufel steckt im Detail. Nehmen wir die fiktive Rheinland Sparkasse:
| Position | Betrag (Mio. €) |
|---|---|
| Notleidende Kredite (NPL) | 450 |
| Eigenkapital | 280 |
| Risikovorsorge | 120 |
| Summe Verlustpuffer | 400 |
| Texas Ratio | 112,5% |
Diese Bank steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Ihre Problemkredite übersteigen die Verlustabsorptionsfähigkeit um 12,5%.
Aber Vorsicht: Verwenden Sie die Brutto-NPLs vor Wertberichtigungen! Manche Banken rechnen sich gesund, indem sie bereits abgeschriebene Kredite aus den NPLs entfernen. Das verfälscht das Bild komplett.
Die kritischen Schwellenwerte verstehen
Nach zwei Jahrzehnten Marktbeobachtung haben sich klare Grenzwerte herauskristallisiert:
| Texas Ratio | Bedeutung | Handlungsbedarf |
|---|---|---|
| < 20% | Exzellent | Keine Sorgen, weiter beobachten |
| 20-50% | Gesund | Normale Überwachung ausreichend |
| 50-70% | Erhöhtes Risiko | Genauer hinschauen, Trends analysieren |
| 70-100% | Gefährlich | Sofortiger Handlungsbedarf, Restrukturierung prüfen |
| > 100% | Kritisch | Insolvenzgefahr, Staatseingriff wahrscheinlich |
Diese Werte sind keine Naturgesetze. Eine Genossenschaftsbank mit treuen Kunden und starker lokaler Verwurzelung überlebt eine Ratio von 80% eher als eine Investmentbank ohne Kundeneinlagen.
Warum die Texas Ratio funktioniert
Die Kennzahl kombiniert zwei kritische Dimensionen: Aktivaqualität und Kapitalkraft. Ein Kredit wird nicht über Nacht notleidend - es ist ein schleichender Prozess. Erst verzögern sich Zahlungen, dann werden Zinsen gestundet, schließlich platzt der Kredit.
Die Texas Ratio fängt diesen Prozess früh ein. Sie fragt nicht "Wie viele faule Kredite haben Sie?", sondern "Können Sie sich Ihre faulen Kredite leisten?". Das macht den Unterschied.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: 2019 analysierte ich zwei Regionalbanken. Bank A hatte eine NPL-Quote von 8% - alarmierend hoch. Bank B lag bei nur 3%. Trotzdem warnte ich vor Bank B. Warum? Ihre Texas Ratio lag bei 95%, während Bank A bei komfortablen 45% rangierte. Bank A hatte genug Eigenkapital, um die Verluste wegzustecken. Bank B nicht.
Die Schattenseiten der Kennzahl
Keine Kennzahl ist perfekt, auch die Texas Ratio nicht. Ihre größte Schwäche: Sie ignoriert die Sicherheiten. Ein notleidender Kredit über 10 Millionen Euro, besichert mit einer Immobilie im Wert von 12 Millionen, ist kein echtes Problem. Die Texas Ratio sieht das anders.
Auch die Ertragskraft bleibt außen vor. Eine hochprofitable Bank kann neue Risikovorsorge aus laufenden Erträgen bilden. Eine margenschwache Bank nicht. Die Texas Ratio behandelt beide gleich.
In Niedrigzinsphasen versagt die Kennzahl teilweise. Banken können NPLs länger mitschleppen, weil die Refinanzierungskosten minimal sind. Die EZB-Politik der letzten Jahre hat diesen Effekt verstärkt.
Praktische Anwendung für Analysten
Nutzen Sie die Texas Ratio als Screening-Tool, nicht als finales Urteil. Mein Workflow bei banktracker.de:
- Erstes Screening: Alle Banken mit Texas Ratio > 70% auf die Watchlist
- Tiefenanalyse: NPL-Zusammensetzung prüfen (Immobilien vs. Konsumkredite)
- Trendanalyse: Entwicklung über 3-5 Jahre betrachten
- Peer-Vergleich: Position im Marktumfeld bewerten
- Stresstest: Was passiert bei 50% höheren NPLs?
Ein steigender Trend ist oft aussagekräftiger als der absolute Wert. Eine Bank, deren Ratio von 30% auf 60% springt, sendet ein klares Warnsignal - auch wenn 60% noch im grünen Bereich liegt.
Verbindung zu anderen Kennzahlen
Die Texas Ratio funktioniert am besten im Verbund. Kombinieren Sie sie mit:
- NPL-Quote: Zeigt die absolute Problemlast
- Coverage Ratio: Misst die Vorsorgequote für NPLs
- Cost of Risk: Erfasst die laufenden Kreditkosten
- Tier-1-Ratio: Bewertet die Kernkapitalstärke
Eine Bank mit hoher Texas Ratio, aber exzellenter Coverage Ratio hat ihre Risiken möglicherweise bereits eingepreist. Eine niedrige Texas Ratio bei steigenden Cost of Risk deutet auf kommende Probleme hin.
Der Blick nach vorn
Die Texas Ratio bleibt relevant, muss aber modernisiert werden. Mit IFRS 9 und den erwarteten Kreditverlusten (ECL) verschiebt sich die Risikoerkennung nach vorne. Banken bilden Vorsorge, bevor Kredite notleidend werden.
Bei banktracker.de entwickeln wir gerade eine "Texas Ratio 2.0", die Stage-2-Kredite einbezieht. Frühe Tests zeigen: Die Prognosekraft steigt um 30%.
Merken Sie sich: Die Texas Ratio ist wie ein Fieberthermometer. Sie zeigt nicht die Krankheit, aber definitiv, dass etwas nicht stimmt. Nutzen Sie sie klug, aber verlassen Sie sich nie blind auf eine einzelne Kennzahl. Die nächste Bankenkrise kommt bestimmt - mit der Texas Ratio erkennen Sie die Wackelkandidaten rechtzeitig.
Häufig gestellte Fragen
Verwandte Artikel
Deckungsquote verstehen und richtig interpretieren
Die Deckungsquote zeigt, wie gut Banken gegen Kreditausfälle abgesichert sind. Erfahren Sie, warum diese Kennzahl für Risikomanager und Investoren unverzichtbar ist.
NPL-Quote verstehen: Non-Performing Loans als Risikoindikator
Die NPL-Quote misst den Anteil notleidender Kredite am Gesamtportfolio. Erfahren Sie, wie diese Kennzahl Kreditrisiken aufzeigt und warum sie für Bankenanalysen wichtig ist.
Risikokosten verstehen und berechnen
Risikokosten (Cost of Risk) messen die Kreditrisikovorsorge in Basispunkten. Erfahren Sie Berechnung, Interpretation und strategische Bedeutung für Banken.
