
MaRisk-Grundlagen: Mindestanforderungen an das Risikomanagement für Banken
Detaillierter Überblick über die MaRisk der BaFin: Anforderungen an Governance, Risikomanagement und interne Kontrollsysteme deutscher Banken.
Einleitung
Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) bilden das Herzstück der qualitativen Bankenaufsicht in Deutschland. Sie konkretisieren die §§ 25a bis 25d KWG und definieren, wie Institute ihre Geschäftsorganisation, Risikosteuerung und interne Kontrollen ausgestalten müssen.
Rechtsgrundlagen und Struktur
Gesetzliche Basis
§ 25a KWG - Allgemeine Organisationspflichten:
- Ordnungsgemäße Geschäftsorganisation
- Angemessenes Risikomanagement
- Interne Kontrollverfahren
- Ausschluss von Interessenkonflikten
§ 25b KWG - Geschäftsleiter:
- Anforderungen an fachliche Eignung
- Zuverlässigkeit
- Zeitliche Verfügbarkeit
§ 25c KWG - Vergütungssysteme:
- Angemessene, transparente Vergütung
- Keine Anreize für unverhältnismäßige Risikoübernahme
MaRisk-Struktur
Die MaRisk gliedern sich in drei Hauptbereiche:
AT - Allgemeiner Teil:
- Geltungsbereich und Proportionalitätsprinzip
- Verantwortung der Geschäftsleitung
- Risikomanagement und -strategie
- Interne Kontrollverfahren
- Auslagerungen
BT - Besonderer Teil:
- Kreditgeschäft (BTR 1)
- Handelsgeschäft (BTR 2)
- IT (BTR 3)
- Adressenausfallrisiken
Proportionalitätsprinzip
Größenklassen
Die MaRisk unterscheiden drei Institutsgruppen:
| Gruppe | Kriterium | Bilanzsumme |
|---|---|---|
| Gruppe 1 | Kleine, nicht komplexe Institute | < 15 Mrd. EUR |
| Gruppe 2 | Mittlere Institute | 15-30 Mrd. EUR |
| Gruppe 3 | Große, komplexe Institute | > 30 Mrd. EUR |
Bedeutung:
- Anforderungen werden risikobasiert skaliert
- Kleinere Institute haben reduzierte Pflichten
- Aber: Proportionalität entbindet nicht von Kernpflichten
Risikogehalt
Neben der Größe ist der Risikogehalt des Geschäftsmodells entscheidend:
- Art der Geschäfte
- Komplexität der Risikostruktur
- Geografische Diversifikation
- Produktkomplexität
Governance und Organisation
Verantwortung der Geschäftsleitung
Gesamtverantwortung (AT 4.2):
- Festlegung der Geschäfts- und Risikostrategie
- Angemessene Geschäftsorganisation
- Ordnungsgemäße Überwachung
- Nicht delegierbare Kernaufgaben
Ressortverantwortung:
- Jeder Geschäftsleiter für sein Ressort verantwortlich
- Kollegialentscheidungen für strategische Themen
- Clear lines of responsibility
Aufbauorganisation
Funktionstrennung:
- Markt (Handel, Vertrieb)
- Marktfolge (Abwicklung, Kontrolle)
- Risikocontrolling (unabhängige Überwachung)
- Compliance
- Interne Revision
Vermeidung von Interessenkonflikten:
- Personelle Trennung sensibler Funktionen
- Vier-Augen-Prinzip bei kritischen Entscheidungen
- Chinesische Mauern zwischen Bereichen
Auslagerungen (AT 9)
Anforderungen:
- Schriftliche Verträge mit klaren SLAs
- Weisungsrechte der Bank
- Prüfungsrechte (inkl. BaFin)
- Exit-Strategien
- Keine Auslagerung von Kernaufgaben an unkontrollierte Dritte
Besondere Regelungen für Cloud:
- Erfüllung regulatorischer Anforderungen
- Datenschutz (DSGVO)
- Standort der Daten
- Business Continuity
Risikomanagement-Framework
Risikostrategie (AT 4.2)
Inhalte:
- Risikotragsähigkeit
- Risikoappetit
- Limite für wesentliche Risikoarten
- Stressszenarien
Prozess:
- Jährliche Überprüfung
- Ad-hoc-Anpassung bei wesentlichen Änderungen
- Zustimmung durch Gesamtgeschäftsleitung
Risikosteuerung und -controlling
Wesentliche Risikoarten:
- Adressenausfallrisiken (Kreditrisiko)
- Marktpreisrisiken (Zinsrisiko, FX, Aktien)
- Liquiditätsrisiken
- Operationelle Risiken
- Reputationsrisiken
Risikocontrolling-Funktion:
- Unabhängig von risikoeingehenden Bereichen
- Direkte Berichtslinie zur Geschäftsleitung
- Vetorecht bei Risikoüberschreitungen
Risikokonzentration
Klumpenrisiken identifizieren:
- Branchen-Konzentrationen
- Geografische Konzentrationen
- Einzelengagement-Konzentrationen
- Produktkonzentrationen
Limite und Überwachung:
- Granulare Limitstrukturen
- Frühwarnindikatoren
- Eskalationsprozesse
Interne Kontrollsysteme
Drei-Linien-Modell
1. Linie: Operatives Management
- Risikoverantwortung im Tagesgeschäft
- Umsetzung von Richtlinien
- Self-Assessment
2. Linie: Risikocontrolling und Compliance
- Unabhängige Überwachung
- Methodenentwicklung
- Reporting an Geschäftsleitung
3. Linie: Interne Revision
- Prozessunabhängige Prüfung
- Berichterstattung an Aufsichtsorgan
- Risikobasierte Prüfungsplanung
Interne Revision (AT 4.4.3)
Anforderungen:
- Funktionale Unabhängigkeit
- Fachliche Eignung der Prüfer
- Angemessene Ressourcen
- Risikobasierter Prüfungsplan
- Berichterstattung an Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat)
Prüfungsschwerpunkte:
- Einhaltung von Policies
- Wirksamkeit interner Kontrollen
- Angemessenheit der Risikomanagement-Systeme
- IT-Sicherheit und Datenschutz
Compliance-Funktion (AT 4.4.2)
Aufgaben:
- Identifizierung rechtlicher Risiken
- Beurteilung von Compliance-Risiken
- Beratung der Geschäftsleitung
- Überwachung der Einhaltung
- Schulung und Sensibilisierung
Organisation:
- Unabhängigkeit von operativen Bereichen
- Angemessene Befugnisse
- Direkte Berichtslinie zur Geschäftsleitung
IT und Datenmanagement
BAIT (Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT)
Die BaFin hat die IT-Anforderungen in den BAIT konkretisiert:
- IT-Strategie und IT-Governance
- Informationsrisikomanagement
- Informationssicherheitsmanagement
- IT-Betrieb
- Auslagerungen und Notfallmanagement
Datenqualität (AT 4.3.4)
Anforderungen:
- Vollständigkeit
- Richtigkeit
- Angemessene Granularität
- Aktualität
- Verfügbarkeit
Data Governance:
- Verantwortlichkeiten für Datenqualität
- Datenqualitätskennzahlen
- Prozesse zur Fehlerkorrektur
Kreditgeschäft (BTR 1)
Kreditrisikostrategie
Elemente:
- Zielgruppen und -märkte
- Risikotoleranz
- Limite (Branchen, Länder, Einzelkredite)
- Qualitätsstandards
Kreditprozess
Kreditvergabe:
- Kreditwürdigkeitsprüfung
- Bewertung von Sicherheiten
- Kompetenzregelung (Vier-Augen-Prinzip)
- Dokumentation
Marktfolge:
- Überwachung von Engagements
- Frühwarnsysteme
- Intensivbetreuung
- Sanierung/Abwicklung
Bewertung und Risikovorsorge
Einzelwertberichtigungen:
- Objektive Hinweise auf Wertminderung
- Discounted-Cash-Flow-Methode
- Sicherheitenverwertung
Portfoliowertberichtigungen:
- IFRS 9 / Expected Credit Loss
- Forward-looking Szenarien
- Staging-Modelle
Sanktionen und Enforcement
BaFin-Maßnahmen
Bei Verstößen:
- Anordnungen zur Beseitigung von Mängeln
- Begrenzung von Geschäften
- Erhöhung von Eigenmitteln
- Abberufung von Geschäftsleitern
- Öffentliche Bekanntmachung
Bußgelder:
- Bis zu 5 Millionen Euro oder
- 10% des Jahresumsatzes
SREP (Supervisory Review and Evaluation Process)
Die BaFin bewertet jährlich:
- Geschäftsmodell
- Governance und Risikomanagement
- Risikolage (Kapital)
- Risikolage (Liquidität)
Ergebnis:
- SREP-Score (1-4)
- Kapitalzuschläge (P2R, P2G)
- Qualitative Maßnahmen
Aktuelle Entwicklungen
Novellierung 2023
Wesentliche Änderungen:
- Integration von ESG-Risiken
- Erweiterte Anforderungen an Auslagerungen
- Digitalisierung und Cyber-Risiken
- Proportionalität weiter geschärft
ESG-Risiken
Neue Anforderungen:
- Integration von Klimarisiken in Risikostrategie
- ESG-Faktoren in Kreditvergabe
- Stresstests für Transitionsrisiken
- Offenlegung nach Artikel 8 Taxonomie-VO
Best Practices
- Risikoorientierung: MaRisk nicht als Checkliste, sondern risikobasiert umsetzen
- Dokumentation: Lückenlose Dokumentation von Entscheidungen und Prozessen
- Technologie: Investition in moderne Risikomanagement-Systeme
- Kultur: Risikokultur von oben vorleben
- Kontinuierliche Verbesserung: Regelmäßige Selbstbewertungen und Gap-Analysen
Fazit
Die MaRisk sind das Rückgrat einer soliden Bankenaufsicht in Deutschland. Sie erfordern eine ganzheitliche, risikobasierte Herangehensweise an Governance, Risikomanagement und Kontrollen. Die konsequente Umsetzung schützt nicht nur vor regulatorischen Sanktionen, sondern stärkt die langfristige Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Instituts.
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