
6. EU-Geldwäscherichtlinie (6AMLD): Neue Anforderungen für deutsche Banken
Umfassender Überblick über die 6. EU-Geldwäscherichtlinie: Erweiterte Straftatbestände, strafrechtliche Verantwortlichkeit und Umsetzung in Deutschland.
Einleitung
Die 6. EU-Geldwäscherichtlinie (6AMLD, Richtlinie (EU) 2018/1673) trat am 3. Dezember 2020 in Kraft und musste bis zum 3. Dezember 2020 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie stellt einen Paradigmenwechsel dar: von präventiven Compliance-Pflichten hin zur strafrechtlichen Harmonisierung und verschärften Sanktionierung.
Kernziele der 6AMLD
Harmonisierung von Straftatbeständen
Primäres Ziel:
- Einheitliche Definition von Geldwäsche in allen EU-Mitgliedstaaten
- Schließung regulatorischer Lücken
- Verhinderung von "Forum Shopping" durch Kriminelle
- Erleichterung grenzüberschreitender Strafverfolgung
Erweiterte Vortaten
Die 6AMLD erweitert die Liste der Vortaten (predicate offences) auf 22 Kategorien.
Die 22 Vortatenkategorien
Vollständiger Katalog:
- Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung
- Terrorismus und Terrorismusfinanzierung
- Menschenhandel und Schleusung
- Sexuelle Ausbeutung (inkl. Kinderpornografie)
- Illegaler Drogenhandel
- Illegaler Waffenhandel
- Illegaler Handel mit gestohlenen Gütern
- Korruption und Bestechung
- Betrug
- Geldfälschung
- Produkt- und Markenpiraterie
- Umweltkriminalität
- Mord und schwere Körperverletzung
- Entführung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme
- Raub und Diebstahl
- Schmuggel
- Steuerstraftaten (inkl. Umsatzsteuer)
- Erpressung
- Urkundenfälschung
- Piraterie
- Insiderhandel und Marktmanipulation
- Cyberkriminalität (neu)
Wesentliche Neuerungen:
- Cyberkriminalität als eigenständige Kategorie
- Steuerdelikte (direkte und indirekte Steuern)
- Erweiterung auf alle schweren Straftaten mit Mindestfreiheitsstrafe von über einem Jahr
Self-Laundering (Selbstgeldwäsche)
Konzept
Definition: Die 6AMLD stellt erstmals explizit klar, dass Selbstgeldwäsche (Self-Laundering) strafbar ist.
Bedeutung:
- Täter der Vortat kann sich auch der Geldwäsche schuldig machen
- Keine Notwendigkeit der Beteiligung Dritter
- Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung
Beispiel: Ein Steuerhinterzieher, der unrechtmäßig erlangte Gelder in Immobilien investiert, begeht nicht nur Steuerhinterziehung, sondern auch Geldwäsche.
Strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen
Corporate Criminal Liability
Kernprinzip: Nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen (Unternehmen) können strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Haftungsvoraussetzungen:
- Straftat wurde zu Gunsten der juristischen Person begangen
- Von einer Person in Führungsposition oder
- Aufgrund mangelnder Aufsicht/Kontrolle durch Führungspersonal
Sanktionen für Unternehmen
Strafmaßnahmen:
- Strafrechtliche Sanktionen (nicht nur administrativ)
- Geldstrafen (Art. 5 6AMLD)
- Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen
- Gerichtliche Überwachung
- Vorläufige/endgültige Schließung
- Entzug von Lizenzen
Mindestanforderungen an Geldstrafen:
- Müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein
- Nationale Umsetzung bestimmt konkrete Höhe
Verschärfte Strafen
Freiheitsstrafen
Mindeststrafmaß:
- Geldwäsche: Mindestens 4 Jahre Freiheitsstrafe (maximum penalty)
- Mitgliedstaaten können höhere Strafen vorsehen
- Bei erschwerenden Umständen: Höhere Strafen
Erschwerende Umstände:
- Begehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung
- Wiederholungstäter
- Amtsträger/Personen mit besonderer Verantwortung
Vermögensabschöpfung
Extended Confiscation:
- Erweiterte Möglichkeiten zur Einziehung von Vermögenswerten
- Auch bei Nichtverfügbarkeit direkter Taterlöse
- Einziehung gleichwertiger Vermögenswerte
Grenzüberschreitende Zuständigkeit
Jurisdiktionsprinzipien
Erweiterte Zuständigkeiten:
| Prinzip | Beschreibung | Beispiel |
|---|---|---|
| Territorialprinzip | Tat im Hoheitsgebiet begangen | Geldwäsche in Deutschland |
| Aktivprinzip | Täter ist Staatsangehöriger | Deutscher begeht Geldwäsche im Ausland |
| Passivprinzip | Opfer ist Staatsangehöriger | Deutsches Opfer von Geldwäsche im Ausland |
Bedeutung:
- Schließung von Strafbarkeitslücken
- Verhinderung von "Safe Havens"
- Erleichterung internationaler Kooperation
Umsetzung in Deutschland
Gesetzliche Änderungen
Zweites Gesetz zur Umsetzung der 6AMLD (Juni 2021):
Änderungen im GwG:
- Anpassung der Vortaten-Definition (§ 261 StGB)
- Klarstellung zur Selbstgeldwäsche
- Verschärfung von Sanktionen
Änderungen im StGB:
- § 261 StGB (Geldwäsche) erweitert
- Erweiterung auf Steuerstraftaten
- Klarstellung zu Cyberkriminalität
Praktische Auswirkungen
Für Banken:
- Erweiterte Risikoanalyse: Berücksichtigung aller 22 Vortatenkategorien
- Verschärftes Monitoring: Besondere Aufmerksamkeit auf Steuerstraftaten und Cybercrime
- Enhanced Due Diligence: Bei Geschäftsbeziehungen mit erhöhtem Risiko
- Schulung: Mitarbeiter zu neuen Tatbeständen sensibilisieren
Spezifische Herausforderungen
Steuerstraftaten als Vortat
Implikationen:
- Alle Steuerstraftaten (Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, Einkommensteuer)
- Auch grenzüberschreitende Steuerdelikte (z.B. Karussellbetrug)
- Niedriger Schwellenwert (Steuerhinterziehung ab gewisser Höhe)
Risikobereich:
- Cash-intensive Geschäfte
- Grenzüberschreitende Transaktionen
- Komplexe Unternehmensstrukturen in Steueroasen
Cyberkriminalität
Relevante Delikte:
- Ransomware-Angriffe (Lösegeld-Zahlungen)
- Kryptowährungs-Diebstahl
- Datendiebstahl und -handel
- BEC-Fraud (Business Email Compromise)
Banken als Intermediäre:
- Zahlungsabwicklung von Ransomware-Lösegeldern
- Umtausch von Kryptowährungen
- Verdächtige Transaktionsmuster erkennen
Compliance-Maßnahmen
Risikoanalyse
Aktualisierung erforderlich:
- Integration der 22 Vortatenkategorien
- Spezifische Szenarien für Steuerstraftaten
- Indikatoren für Cybercrime
- Selbstgeldwäsche-Konstellationen
Transaktionsmonitoring
Neue Szenarien:
- Verdachtsmomente für Steuerdelikte (z.B. Umsatzsteuerkarusselle)
- Ransomware-Zahlungen (Kryptowährungen)
- Ungewöhnliche IT-Dienstleistungszahlungen
- Zahlungen an Hochrisiko-Jurisdiktionen
Schulung und Awareness
Schulungsinhalte:
- Überblick über 6AMLD-Änderungen
- Neue Vortatenkategorien im Detail
- Typologien für Cybercrime
- Steuerdelikte erkennen
- Rechtliche Konsequenzen (strafrechtlich!)
Governance
Organisatorische Anpassungen:
- Aktualisierung von Policies und Procedures
- Eskalationswege bei Verdachtsfällen
- Zusammenarbeit mit Steuerbehörden
- Cyber-Threat-Intelligence einbinden
Internationale Perspektive
Zusammenspiel mit FATF
Die 6AMLD setzt zahlreiche FATF-Empfehlungen um:
- Recommendation 3: Criminalisation of Money Laundering
- Recommendation 5: Criminalisation of Terrorist Financing
- Recommendation 6: Targeted Financial Sanctions
Vergleich mit anderen Jurisdiktionen
USA:
- Bereits umfassende Vortatenkataloge
- Corporate Criminal Liability seit Jahrzehnten etabliert
- Deferred Prosecution Agreements (DPAs) als Instrument
UK:
- Proceeds of Crime Act (POCA) ähnlich weitreichend
- Corporate Failure to Prevent-Regime (seit 2017)
Best Practices
- Proaktive Risikoanalyse: Nicht warten, bis Fälle auftreten
- Cross-funktionale Zusammenarbeit: Compliance, Tax, Cyber, Legal
- Technologie nutzen: KI für erweiterte Muster-Erkennung
- Regelmäßige Audits: Jährliche Überprüfung der 6AMLD-Compliance
- Externe Expertise: Bei komplexen Fällen (Steuern, Cyber) Spezialisten einbinden
Fazit
Die 6. EU-Geldwäscherichtlinie markiert einen bedeutenden Schritt hin zu einem harmonisierten, strafrechtlich orientierten AML-Regime in Europa. Für Banken bedeutet dies:
- Erweiterte Compliance-Pflichten durch 22 Vortatenkategorien
- Höhere strafrechtliche Risiken (persönlich und institutionell)
- Notwendigkeit robuster Prozesse, insbesondere für Steuerstraftaten und Cybercrime
- Investitionen in Technologie und Personal
Die konsequente Umsetzung der 6AMLD-Anforderungen ist nicht nur regulatorische Pflicht, sondern schützt auch vor erheblichen rechtlichen und Reputationsrisiken.
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